Krankenversicherung - Nie mehr zweite Klasse

In Deutschland steht eine Revolution bevor: Die Zeit der privaten Krankenversicherung neigt sich dem Ende zu. Was kommt nun?

Ein Mann rennt. Wahrscheinlich schwitzt er auch, man weiß es nicht, weil auf dem Fernsehschirm minutenlang nur Beine zu sehen sind. Der Werbespot endet mit einer berühmten Zeile: »Am 31. ist Wüstenrot-Tag!« Klar, warum der Mann so rennt: Bis zum Stichtag muss er etwas Dringendes bei seiner Bank erledigen.

Der kleine Film wurde dreißig Jahre lang in verschiedenen Versionen im Fernsehen gezeigt. Ein Klassiker, der neuerdings sozialdemokratische Politiker inspiriert. »Wüstenrot-Tag« nennen sie bei der SPD einen Stichtag, an dem eine neue Ära für den deutschen Sozialstaat anbrechen soll. Der »Wüstenrot-Tag« soll das Ende der Zweiklassenmedizin einläuten: den Abschied von einem Gesundheitswesen, in dessen Wartezimmern, Reha-Kliniken und Operationssälen zwischen Kassenpatienten und Privatversicherten unterschieden wird.

Entschieden wird zwar frühestens nach der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2013, aber in diesen Wochen und Monaten kippt die Stimmung – in der Politik, in den Medien, bei den Versicherten und sogar in Teilen der Versicherungsbranche. Die private Krankenversicherung (PKV), so wie sie im Augenblick besteht, gilt nicht mehr als zukunftstaugliches Modell. Eine klassenlose Gesellschaft zeichnet sich ab, wenn auch nur im Gesundheitssystem.

Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn wirbt gerade in seiner Partei dafür, eine neue Versicherung für alle zu konzipieren, ohne Zweiklassenmedizin. »Das derzeitige Nebeneinander von zwei Systemen ist nur noch historisch zu begründen und hat kaum noch Akzeptanz«, sagt er. »Die private Krankenversicherung wird sich verändern müssen.«

In der SPD sind die Reformpläne schon weit gediehen, sie sind allerdings weniger radikal als noch vor einigen Jahren. Auf ihrem Parteitag im Dezember 2011 beschlossen die Genossen ein Konzept, das, wie Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meint, »auch ein attraktives Angebot für wechselwillige Privatversicherte sein soll«. Das Modell ist einfacher, Härten für Gutverdiener wurden trotz des Protestes des linken Parteiflügels gestrichen.

Es geht dabei nicht um eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung per Dekret, sondern darum, dass für alle Versicherungen dieselben Regeln gelten – für die Erhebung der Beiträge oder die Bezahlung von Arzthonoraren. Wenn die Reform in Kraft tritt, soll es nach den SPD-Plänen in Deutschland möglich sein, zwischen privaten und gesetzlichen Versicherungen hin und her zu wechseln, bis zum »Wüstenrot-Tag« eben. Das gab es bisher noch nicht. Denn so entstünde ein Wettbewerbsdruck, bei dem nur noch die Kassen überleben, die ein wirklich überzeugendes Angebot vorlegen.

Als Vorbild gelten die Niederlande, wo die Regierung 2006 etwas Ähnliches entschied: Jeder Fünfte der sechzehn Millionen niederländischen Versicherten wechselte damals innerhalb weniger Wochen seinen Anbieter. Bei vielen Kassen standen zwei Monate lang die Telefone nicht still. Einige Versicherungen verloren auf einen Schlag mehrere Hunderttausend Kunden, bei anderen mussten die Mitarbeiter auch nachts arbeiten, um mit der Beratung neuer Mitglieder hinterherzukommen.

In Deutschland gehören heute ungefähr 85 Prozent einer gesetzlichen Krankenkasse an mit ihren einheitlichen Leistungen für alle, der kostenlosen Absicherung für Familienangehörige und Beiträgen, die vom Einkommen abhängen. Der Rest, etwa 8,9 Millionen Menschen, hat einen Vertrag mit einer privaten Krankenversicherung wie der Debeka oder der DKV. Diese Versicherten bekommen Rechnungen vom Zahnarzt oder Krankenhaus, die sie einreichen müssen. Ihre Beiträge werden Prämien genannt, die Höhe hängt vor allem vom Krankheitsrisiko und vom Leistungsumfang ab. Meistens verdienen Ärzte und Kliniken besonders gut an Privatversicherten, die deswegen oft schneller Termine bekommen als Kassenpatienten.

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