Gesundheitssystem - Bittere Pillen für Kassenpatienten

Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts", sagt der Volksmund. Das erklärt, warum derzeit hochemotional über eine Studie debattiert wird, die nichts anderes war als ein Rundruf bei 189 Fachärzten. Heraus kam, was fast alle schon wussten: dass Kassenpatienten länger auf Termine warten als privat Versicherte. Willkommen im Land der „Zwei-Klassen-Medizin".

Mit der Gesundheitsreform könnte es für Kassenpatienten demnächst jedoch noch schlimmer kommen. „Gesetzlich Versicherte könnten vom Zugang zu innovativen Medikamenten abgeschnitten werden", befürchtet Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Der Gesundheitsökonom hat gerade gemeinsam mit 28 Kollegen des renommierten Vereins für Socialpolitik einen Warnschuss Richtung Bundesgesundheitsministerium abgefeuert. In einer dreiseitigen Stellungnahme an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) zerpflücken die Gesundheitsexperten die Pläne der Institutsspitze. Wörtlich heißt es in dem Papier: Die Vorstellungen des IQWIG sollten in wichtigen Punkten „verbessert werden, um Schaden von der Versichertengemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung abzuwenden".

Das IQWIG ist im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums maßgeblich an Entscheidungen beteiligt, welche Arzneimittel und Therapien von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden und welche nicht. Nach der Gesundheitsreform soll das Institut auch feststellen, ob die Kosten, die für neue Medikamente anfallen, im richtigen Verhältnis zu dem Nutzen stehen, den die Produkte den Patienten bringen.

Eine solche Kosten-Nutzen-Bewertung ist weitgehend unumstritten, schließlich sollen Pharmaunternehmen nicht mit teuren Scheininnovationen zulasten der Beitragszahler ihre Gewinne aufbessern. Zudem machen andere Länder längst vor, dass sich so sparen lässt. Doch über die Methodik, wie Kosten und Nutzen gemessen und bewertet werden sollen, gibt es erbitterten Streit.

Dabei geht es um ethisch heikle Fragen. Wie viel darf ein zusätzliches Lebensjahr kosten? Soll die Versichertengemeinschaft für Medikamente zahlen, die Erkrankten nur eine höhere Lebensqualität, nicht aber mehr Lebenszeit bringen? Und: Wie beurteilt man Medikamente, zu denen es noch keine ausreichenden Studien gibt?

„So, wie das jetzt geplant ist, schadet das der Forschung und damit auch den Patienten", kritisiert Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen, einer der Unterzeichner des Protestbriefes. Die Anreize für die forschenden Unternehmen würden völlig falsch gesetzt. „In Bereichen, in denen schon lange keine Fortschritte mehr erzielt wurden, lohnt es sich künftig erst recht nicht mehr, zu investieren", sagt der Experte. „Was das Institut bisher vorgelegt hat, entspricht nicht den internationalen Standards", sagt sein Kollege Greiner und fügt hinzu: „Werden die Vorschläge so umgesetzt, hängt es zukünftig von Zufälligkeiten ab, ob Arzneimittel erstattet werden."

Im IQWIG gibt man sich zugeknöpft. „Zu einzelnen Stellungnahmen geben wir keinen Kommentar ab", heißt es. Man werde die rund 50 Erklärungen, die bis zum Fristende in der vergangenen Woche eingegangen seien, sichten, debattieren und sich dann an einen zweiten Entwurf zur Methodik machen. „Ich habe allerdings wenig Hoffnung, dass die sich noch grundlegend umstimmen lassen", sagt Greiner.

Patientenvertreter wie Wolfram-Arnim Candidus setzen derweil auf öffentlichen Druck. Seit Monaten hastet er von Pressekonferenz zu Podiumsdiskussion, beim Leiter des IQWIG, Peter Sawicki, war er auch schon. „Ich habe die große Sorge, dass es nur noch ums Kostensenken geht und nicht mehr um Lebensqualität", sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, „wir steuern immer mehr in ein System, in dem eine unsoziale Mangelverwaltung und schleichende Rationierung herrschen."

Schuld daran sei die Politik, sagt Candidus, nicht etwa der einzelne Arzt, dem man auch wegen der längeren Wartezeiten für Kassenpatienten keine Vorwürfe machen könnte. „Das System ist falsch", sagt er. Schließlich würden Ärzte für die Behandlung gesetzlich Versicherter zu schlecht bezahlt, für privat Versicherte fließt mehr Geld.

Quelle: Wirtschaftswoche vom 10.4.08

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